Mit Tastsinn gegen den Tumor - Blinde und sehbehinderte Frauen helfen bei der Brustkrebsfrüherkennung
Im Klinikum Friedrichshafen wird eine ergänzende Untersuchungsmethode zur Früherkennung von Brustkrebs etabliert. Bei der sogenannten Taktilographie untersuchen blinde oder stark sehbehinderte Frauen, die über einen hervorragenden Tastsinn verfügen, die Brust. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Rolls Royce Power Systems, dem Sozialunternehmen „discovering hands“ (entdeckende Hände), bei dem die sehbehinderten Frauen angestellt sind, und dem Klinikum Friedrichshafen wurde nun ein Pilotprojekt gestartet. Ziel der gemeinsamen Initiative ist es, diese sanfte apparatefreie Untersuchungsmethode im Bodenseeraum einzuführen.
Vorreiter in der Region
Dr. Hans-Walter Vollert, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie sowie Leiter des Brustzentrums Bodensee-Standorts Friedrichshafen, ist schon lange von der „überragenden Expertise von Sehbehinderten“ überzeugt und wollte „den Frauen in der Region schon lange etwas anbieten“.
Brustkrebszentrum Bodensee
Durch die Kooperation mit Rolls Royce Power Systems (RRPS) ist das nun gelungen. Das Unternehmen hat nun seine Kampagne zur Brustgesundheit „Rolls- Royce macht brustbewusst“ gestartet und bietet seinen Mitarbeitenden erstmals die Möglichkeit einer Taktilographie an. Diese wird von speziell geschulten medizinisch-taktilen Untersucherinnen (MTU) im Therapiezentrum des Klinikums Friedrichshafen vorgenommen. „Wir als Unternehmen haben eine soziale und gesellschaftliche Verantwortung, der wir nachkommen wollen. Uns ist es wichtig, das Thema in die Region zu holen“, erklärt Dr. Thelse Godewerth, Chief People Officer RRPS.
Niederschwelliger Zugang zur Krebsvorsorge
Mammakarzinom
Brustkrebs ist keine Frage des Alters oder Geschlechts. Junge Frauen können genauso betroffen sein wie Männer, auch wenn bei diesen Brustkrebs wesentlich seltener auftritt. Deutschlandweit erkranken jährlich mehr als 70.000 Frauen an Brustkrebs, 18.000 sterben daran. Damit zählt das Mammakarzinom zu den häufigsten Todesursachen bei Frauen. Nicht der Knoten in der Brust ist lebensbedrohlich, sondern die später auftretenden Metastasen. Daher ist die Früherkennung so wichtig. Für viele ist das Thema jedoch angstbesetzt.
Früherkennung ist wichtig
Frauen scheuen die mitunter etwas schmerzhafte Mammographie, berichtet Dr. Vollert aus seiner jahrelangen Erfahrung. „Mammographie - das tut weh, das ist unangenehm“ hört er häufig von seinen Patientinnen. Daher macht er sich seit Jahren für eine ergänzende schmerzfreie Untersuchungsmethode stark, deren Erfolg auch wissenschaftlich belegt ist. Wie groß das Interesse an einer Taktilographie ist, zeigt die Resonanz unter den Mitarbeitenden von RRPS: die ersten 136 angebotenen Termine waren in weniger als 24 Stunden ausgebucht.
Einstündige Untersuchung
Die durch eine neunmonatige Ausbildung in Theorie und Praxis zertifizierten blinden oder stark sehbehinderten MTUs können etwa 30 Prozent mehr und bis zu 50 Prozent kleinere Gewebeveränderungen (ab sechs Millimeter) finden als Ärzte (ein bis zwei Zentimeter), erklärt Arndt Helf, Geschäftsführer von „discovering hands“. Das Sozialunternehmen hat bereits 50 Untersucherinnen ausgebildet. Der Untersuchungsablauf ist klar strukturiert und verläuft im Sitzen und Liegen. Während der Gynäkologe nur wenige Minuten Zeit für das Abtasten hat, kann es bei einer MTU bis zu einer Stunde dauern.
Sicherheit geben
Dabei orientiert sich die MTU mit Hilfe von Spezialklebestreifen, die sie zuvor an der Brust angebracht hat und tastet das Brustdrüsengewebe systematisch nach einem standardisierten Verfahren ab, unter Berücksichtigung aller Gewebetiefen. „Ich habe mich wunderbar aufgehoben gefühlt. Es war eine Erleichterung, dass keine Auffälligkeiten gefunden wurden. Das ist ein Startpunkt für mich: alles, was ich ab jetzt fühle, darf so sein. Das gibt mir Sicherheit“, berichtet Nathalie Stoll, BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) RRPS, von ihrer Untersuchung durch MTU Daniela Mettvett.